Mit Gespenstern ist das ja so eine Sache. Der eine ist überzeugt, dass es sie gibt, der andere lächelt über die Vorstellung. Um es gleich vorweg zu sagen: Das Beugungsunschärfegespenst existiert wirklich. Es lebt in jedem Objektiv. Es hält sich meistens versteckt und kommt nur selten ans Licht. Dann allerdings zeigt es seine hässliche Fratze auf dem Foto. Aber es ist überwiegend harmlos*. Deshalb kann man darüber lächeln. Deshalb sollte man darüber lächeln!

Beugungsunschärfe?

Wenn der Physikunterricht der siebten Klasse schon ein wenig verblasst sein sollte, dann ist der Begriff „Beugungsunschärfe“ womöglich nicht mehr so präsent. Unter (Hobby-) Fotografen jedoch scheint die Beugungsunschärfe ein allgegenwärtiges Schreckgespenst zu sein. Für diejenigen unter euch, die damit nichts anfangen können, eine kurze, stark vereinfachte Erklärung:

Fällt Licht durch einen sehr schmalen Spalt, wird es abgelenkt, „gebeugt“ eben. Es kommt sozusagen vom „rechten Weg“ ab. Was das mit Fotografie zu tun hat? Nun, bei sehr kleinen Blendenöffnungen wird das Licht durch die Blende gebeugt und ein Punkt in der Wirklichkeit wird nicht mehr als Punkt sondern als kleines Scheibchen abgebildet. Die Folge ist eine gewisse Unschärfe, und zwar im gesamten Foto. Beugungsunschärfe darf also nicht mit unzureichender Schärfentiefe verwechselt werden! Mehr dazu bei Wikipedia.

Unschärfe will aber der durchschnittliche Fotograf nicht. Ergo: Er vermeidet kleine Blendenöffnungen wie die Beulenpest. Ab welcher Blendenzahl Beugungsunschärfe sichtbar wird, darüber gehen die Meinungen der Fachleute auseinander. Aber wer sicher gehen will, der schreckt schon vor Blende 11 zurück. Selbst bei Blende 8 haben einige Zeitgenossen schon Bauchschmerzen.

Nun weiß aber jeder, dass die Schärfentiefe umso größer ist, je kleiner die Blendenöffnung (je größer die Blendenzahl) ist. Und da beginnt das Dilemma der besagten Zeitgenossen…

Schärfentiefe oder nicht Schärfentiefe, das ist hier die Frage**

Bei vielen Motiven möchte man gern durchgängige Schärfe von vorne bis unendlich. Insbesondere Landschaftsfotos sind oft unbefriedigend, wenn Vorder- oder Hintergrund nicht richtig scharf sind. Je nach Brennweite des Objektivs kann dafür aber Blende 16 oder 22 notwendig sein. Bisweilen sogar Blende 32 (da wenden sich einige mit Schaudern ab…). Wenn man nun aber diese Blenden scheut, weil man das Beugungsunschärfegespenst fürchtet, dann muss man halt mit unzureichender Schärfentiefe leben. Persönlich akzeptiere ich bei Motiven, die durchgängige Schärfe erfordern, eher die leichte Beugungsunschärfe bei hohen Blendenzahlen als eine unzureichende Schärfentiefe.

Dieses Foto aus dem Ilsetal erforderte aus meiner Sicht Blende 22 für durchgängige Schärfentiefe:

Ilsetal, Harz

 

Tatsächlich zeigt sich in der ungeschärften RAW-Datei eine leichte Unschärfe, wie in dem 100% Ausschnitt deutlich zu sehen ist:

Ungeschärftes Bild

Aber schon eine leichte Nachschärfung in Lightroom, die auch für viele andere Dateien sinnvoll ist, beseitigt dieses kleine Problem:

Geschärfte Datei

 Objektiv: Canon 24-105mm / 1:4 L IS USM bei Blende 22

 

Fazit: Für mich (und für unsere Bildagenturen) ist die Schärfe ausreichend. Also habe ich auch keine Angst vor dem Beugungsunschärfegespenst!

Wie immer könnt ihr gerne eure Kommentare und Anregungen hinterlassen.

 

* Diesen Satz habe ich offensichtlich bei Douglas Adams geklaut. Ich hoffe, man vergibt mir…
** Das hört sich auch irgendwie geklaut an